Land ist für die Guarani-Kaiowá der Ursprung allen Lebens, wie eine Mutter, die ihnen gibt, was sie zum Leben brauchen, die sie versorgt. Im Gegenzug nehmen auch sie nur so viel, dass sie der Erde nicht schaden. In dieser Hinsicht schließt ihre Beziehung zum Land auch das Wirtschaftliche, das Soziale und das Politische mit ein.
Für die Guarani-Kaiowá ist Land nichts, was man erwerben oder besitzen kann. Für sie stellt der Boden eine göttliche Gabe an die Gemeinschaft dar. In ihrer ursprünglichen Kultur gibt es kein Privateigentum, es gilt das Naturrecht: Boden, den niemand erzeugen kann, gehört der Gruppe.
Die Kultur und Identität der Indigenen ist von Grund auf mit der Erde verknüpft
Zu dem Land ihrer Vorfahren, dem sogenannten Tekohá, haben die Indigenen eine besondere Beziehung und schreiben ihm gar eine spirituelle und mythische Bedeutung zu. Es ist Bindeglied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und somit zwischen den Generationen. Dort, wo ihre Ahnen begraben liegen, ist auch ihr Platz, dort können sie sein, wie sie sind und nach ihren Gebräuchen leben. Wenn sie von diesem Land sprechen, beziehen sie sich immer auf ihre eigene Art zu sein, auf das was sie auszeichnet, auf ihre Identität. Ohne Land sind die Guarani-Kaiowá identitätslos.
Das Paradies auf Erden
Heutzutage sind viele Tekohá längst nicht mehr das, was sie einst waren. Oft lagen die Gründe der Ahnen mitten im Regenwald, waren durchzogen von Flussläufen und hatten das was die Guarani-Kaiowá zum Leben brauchten – sauberes Wasser, genügend Esspflanzen, wilde Tiere, die Schönheit und Intimität der Natur.
Das einstige Land der Ahnen befindet sich heute oft in den Händen von Großgrundbesitzern – gerodet, bepflanzt, vergiftet. Trotzdem sehnen sich die Ureinwohner Brasiliens danach, auf das Land ihrer Ahnen zurückzukehren. Auch, wenn das einstige Paradies zerstört ist, können viele Guarani-Kaiowá erst dort wieder Frieden finden.
In der Kultur der Guarani gibt es den überlieferten Mythos vom „Land ohne Übel“ oder der „Erde ohne Leid“. Seit jeher suchen sie die „Erde ohne Leid“. Es ist nichts Überirdisches oder Jenseitiges, sondern eine ganz konkrete Vorstellung von einem Ort, an dem alle Menschen frei und gut sind – ein Raum der gegenseitigen Liebe und Reziprozität.
Eine lange Geschichte der Verdrängung
„Lange haben wir zu den göttlichen Wesen gebetet, damit wir weiter existieren können. Wenn wir nicht mehr auf der Erde leben, wer soll dann das Gleichgewicht zwischen der Erde und den Himmeln aufrecht erhalten? Die ganze Erde würde untergehen.“
Indio Guarani - Kaiowá Karai Tino, Paraguay
Nicht erst seit dem Soja-Boom verlieren die Ureinwohner ihr Land. Seit der Eroberung Brasiliens um 1500 erschließen die Weißen das Land und beuten dessen Reichtümer aus. Brasil-Holz, Zuckerrohr, Gold, Kaffee und Kautschuk wurden massiv abgebaut und waren Exportschlager.
Doch das Schlimmste was man einem Guarani-Kaiowá antun kann, ist ihm das Land der Ahnen zu nehmen. Mancher Wissenschaftler spricht dabei sogar von Völkermord – denn mit dem Verlust des Landes verliert ein Guarani-Kaiowá nicht nur seinen Lebensraum, sondern zugleich seine Kultur, seine Heimat und seine Identität.